Dienstag, 18. November 2008

Cirrocumulus

Vom Himmel fallen graue Bindfäden. Kordeln, Schnüre, Strippen. Alles für die Erde, man denkt nicht, dass sowas möglich wäre. Selbst die Wolken verschwinden in dem Grau, das sich vor mir auftut. Gebirgszüge hängen kopfüber am Himmel und drohen mir mit ihrem Gewicht. Und sie spucken unaufhörlich graue Bindfäden, die durch die Luft fliegen wie Tentakel.
Zickzacklaufen bringt nur vorrübergehend Erleichterung und Unterschlupf ist keiner in Sicht.
Ich bin nass bis auf die lebenswichtigen Organe, die sich in meinem Inneren spürbar zusammenziehen, als wäre der für sie vorgesehene Platz plötzlich geschrumpft.
Meine Schritte tragen mich einem nur den Schuhsohlen bekannten Ziel entgegen. Das Profil gräbt sich in die rauhe Oberfläche des Asphalts. Aufsetzen, Balancieren, Kraft aufbauen, Abstoßen, Schwingen.
Die Moleküle und Elementarteilchen meiner Umgebung fliegen mir entgegen. Verformt zu unkenntlichen Blitzen aus Licht und Geschwindigkeit zischen sie an meinen Ohren vorbei, dass es nur so rauscht.
Noch halten die Einzelteile zusammen. Noch tun die Komponenten ihre Arbeit. Ich bewege mich, doch mit welcher Absicht? Ich stürze und hebe im Fallen den Blick, wie in Zeitlupe kommt die Erde näher. Über mir ist nur der Himmel.

Montag, 17. November 2008

Cumulonimbus

Heute Nachmittag ist das Wetter grün. Den meisten Menschen ist das egal, denn sie tragen Augenklappen. Nicht wie Piraten, eher wie Blinde. Blindgänger sind sie allesamt. Ab und zu geht einer hoch. Wenn der Fahrstuhl nicht funktioniert. Und überhaupt: Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin und niemand ginge, um zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge?
Überall gibt es Fahrstühle. Rolltreppen, Seilbahnen und Schienenfahrzeuge. Sie bringen uns möglichst schnell und auf direktem Weg von X nach Y. Gäbe es Fenster oder Aussichtspunkte, man könnte innehalten und die vorbeirauschenden Momente betrachten, dem vorbeirauschenden Blut lauschen. Aussichtspunkte. Sind Aussichtspunkte nicht auch nur Fernseher, aufgestellt nur dort, wo es etwas Bemerkenswertes zu sehen gibt? Riesenmanipulationsvorrichtungen, riesige, familienfreundliche Augenklappen im Grünen. Komm, wir fahren ins Grüne. Durch's schöne grüne Wetter. Sind wir nicht grün hinter den Ohren? Welch ein Spaß.

Sonntag, 16. November 2008

Midair Flips Into Oncoming Traffic

Mein Biorhythmus ist ein Fiat Panda, der auf einer regnerischen vierspurigen Autobahn die Leitplanke durchbricht und sich, wie in Zeitlupe, unter einen 30-Tonner schiebt.
Das vergangene Wochenende, das neben einer schlaflosen Busfahrt von Stuttgart ins Wendland aus zwei Nächten auf der Straßenblockade vor dem Atommüllzwischenlager in Gorleben bestand, hat seinen Teil dazugetan. Mein Survivalset für Amateur-Eskimos bestand aus vier Paar Socken übereinander, Hose, langer Unterhose, zwei Hemden, zwei Pullovern, Jacke, Mütze, Schal, Schlafsack und den heißen veganen Suppen der Volksküche.

Hier ein paar Impressionen aus dem Wendland.



Das Tübingen vor meinem Fenster hüllt sich in schwarzes Schweigen, der Tee in der Kanne wirft Ellipsen aus bernsteinrotem Licht auf meine Tischplatte. Meine innere Uhr schreit und krakeelt in meinem Innern, ihrer Meinung nach ist es wohl 14Uhr. Meine Nacht bestand, nach einer apfelschorlereichen Medienwissenschaftlerparty im Verbindungshaus Stochdorphia, aus Vitamin E in Form von Nüssen, flüsterndem Telefonieren unter der Bettdecke, zwei Episoden Californication und überraschendem Besuch, sodass Schlaf erst gegen 8 Uhr morgens effektiv durchgeführt werden konnte. Es sind die Stunden nach Mitternacht, in denen man den Blick für Wesentliches, Alltägliches verliert und sich der Erforschung der Unregelmäßigkeit des Rauhfasertapetenmusters oder der Wissenschaft der Schallübertragung am Beispiel knarrender Bodendielen widmen kann.

Nun eine leichte Matherechnung: Wenn man vorne 6 Stunden Tag abschneidet, kann man hinten, bei konstantem Koffeinspiegel und gelegentlicher internetbasierter Zerstreuung, bis zu 6 Stunden anhängen. Das bedeutet, wer mich heute Nacht anrufen oder mir Kuchen vorbeibringen möchte, kann es bis ca. 05:00 Uhr tun.

Vor mir liegen nun die Aufgaben, aus Nüssen, Kaffeepads, zwei Mandarinen, veganen Wiener Würstchen, 3 Kilo Karotten und einer Tasse Tee ein Abendessen zu zaubern, sowie im Anschluss einen zehnminütigen Debattenbeitrag in englischer Sprache zu verfassen.

José González singt und ich hätte gerne ein paar Kekse. Die Geräusche in meinem Kopf vermischen sich mit den Geräuschen einer 80.000-Einwohner-Stadt zur Primetime.

Nächste Woche erfinde ich etwas oder entdecke ein neues Tier oder beteilige mich an einem revolutionären Putsch, wonach ich dann Wirtschaftsminister eines Landes mit unaussprechlichem Namen werde.